Angefangen hat es mit einem Workshop bei der Konferenz des Applied Improvisation Network 2016 in Oxford. Dort ging es um die Frage, wie Debriefing (Reflexion von Improvisationsmethoden – siehe mehr zu diesem Begriff) auch mit kreativen Methoden umgesetzt werden kann. Die großartige Anne-Marie Steen motivierte dort Teilnehmende u. a. innerhalb kürzerster Zeit ein Bild zu zeichnen (zu den Details der Inputs).
Ich war von mir selber überrascht, wie leicht mir das Zeichnen letztlich gefallen ist und welche spannenden Erkenntnisse sich so ergeben haben. Denn ich gehöre eindeutig zur Gruppe jener Menschen die mit großer Vehemenz das „ich kann nicht zeichnen“ als Glaubenssatz für sich erkoren haben. Wobei ich schon einige Jahre, Teilnehmende von Bildungsangebote, die ich (mit)leite dazu animiere selbst zu Zeichen im Zusammenhang mit der Visualisierung der Lebens- oder Medienbiographie sowie des Werkzeugs des Ressourcenkleiderschranks (mehr).
Ich setzte nach 2016 verschiedene Formen von Visualisierung nun noch intensiver als Methode in diversen Bildungsangeboten um, wobei ich die Methoden von Rich picture bzw. von Grids & gestures (siehe dazu diesen Beitrag) als besonders vielversprechend sowie vielfältig erlebe sowie als Ansätze, die assoziatives bzw. divergentes Denken und Handeln, ganz im Sinn der Angewandten Improvisation initiieren, ermöglichen, begleiten …
So habe ich Rich pictures zuletzt in mehreren Workshops eingesetzt, um den Zugang zum innovativen didaktischen Modell des Inverted Classroom Modells (ICM) zu unterstützen. Dazu die folgenden Wahrnehmungen, die ich am Ende mit Ideen für die Weiterentwicklung des Einsatzes dieser Herangehensweise ergänze.
Umgesetzte Einsatzvarianten Rich Picture
- Teilnehmende setzen sich mit dem Thema ICM im Vorfeld auseinander (teilweise in einem Zeitraum von 1 -2 Wochen (mit dem Hinweis, dass die Durchsicht etwa 2 Stunden dauern würde), teils in einem Weiterbildungskontext in einem Setting, wo die Gruppe ein halbes Jahr am Thema Didaktik dran war). Im gemeinsamen Tun lautet die Aufgabe, gewonnene Erkenntnissen zu diskutieren und gemeinsam ein „Bild von ICM“ zu zeichnen (einige ausgewählte Ergebnisse habe ich in diesem Fotoalbum zusammengestellt). Für diesen Prozess standen 30 – 45 Minuten zur Verfügung. Daran im Anschluss wurde das Bild von an der Produktion Beteiligten erklärt.
- Teilnehmende, die sich zu einem Austausch / einen Workshop zu ICM angemeldet hatten, wurden spontan ersucht mit Rich Picture darzustellen, was ICM aus ihrer Sicht ausmacht. Teils war dann Zeit, Ergebnisse in der Großgruppe vorzustellen, teils erfolgte dies in Kleingruppen, wo dann einige ausgewählte Erkenntnisse im Plenum geteilt wurden. Für Zeichnen inkl. den dazu nötigen Diskussionsprozess in der Kleingruppe standen zwischen 15 und 45 Minuten zur Verfügung.
- Teilnehmende bei einem Workshop zu ICM wurden dazu eingeladen, alleine innerhalb von zwei Minuten ein Bild zu ICM zu zeichnen und sich dann vom Bild eines / einer zufällig ausgewählten PartnerIn inspirieren zu lassen, das eigene Bild um ein grafisches Element zu erweitern und später im Paardialog, die Auswahl und die wahrgenommene Bedeutung zu erklären. (eine umfassende Form dazu wird im meinem Wiki zu Improvisationsmethoden vorgestellt)
Einige Wahrnehmungen, die letztlich in allen Settings sehr ähnliche Aspekte hatten:
- Manche Gruppen erst reden erst sehr lange, bevor sie – teils durch Ermunterung von mir – mit dem Zeichenprozess begannen
- Sowohl vor / während / nach dem Zeichen ergab sich eine sehr intensive Interaktion der Beteiligten, die sich u. a. auch in einer Körperhaltung zeigte, die ich etwa aus Assoziationsmethoden mit Worten / Geste oft erlebt habe: Einander zugewandt u. a. auch durch mit Sessel vorrutschen, an den Rand rutschen, sich vorlehnen; immer wieder Augenkontakt suchen; Gestik und Mimik, die sichtlich Bezug auf jene anderer Anwesender nimmt …
- In den Bildern spiegelten sich die verschiedensten Sicht- und Herangehensweisen, teils auch widersprüchliche Meinungen – gleichzeitig war jedes entstandene Bild für Außenstehende als ‚zusammengehöriges Werk‘ zu erkennen.
- Immer wieder berichteten Teilnehmende darüber, dass der zeichnerische Ansatz dabei unterstützt hat die „richtigen Worte“ zu finden oder sich vorhandener innerer Bilder bewusst(er) zu werden und diese anderen zeigen zu können.
Erkenntnisse für die Weiterentwicklung:
- Teilnehmende schätzen es, wenn die Auswahl zur Verfügung stehender Stifte breit ist; gleichzeitig werden oft bewusst nur sehr ausgewählte Farben dann tatsächlich verwendet
- Wie Bell, Berg und Morse in ihrem Buch ((2016). Rich Pictures: Encouraging Resilient Communities. London New York: Routledge) betonen, ist ein Zeichnen im Stehen (Flipchart) grundsätzlich möglich – das tatsächlich gleichzeitige Visualisieren tritt aber in den Hintergrund
- Sidecoaching, also Worte, die den Prozess vorantreiben sollen, wenn, dann sehr zurückhaltend einsetzen, vom Rand aus, wo sich Teilnehmende nicht beobachtet fühlen
- Rich picture, die im Raum hängen bzw. einzelne Elemente daraus sind gleichzeitig ein Bezugspunkt, auf den während eines didaktischen Prozesses immer wieder hingewiesen werden kann
- Spannend wäre in einem Prozess zwei Rich Picture zu zeichnen: Vorher & Nachher bzw., ein vorhandenes Bild zu ergänzen (ev. auch durch Aufkleben, ähnlich collagierender Techniken)