Beim Einsatz von Improvisationsmethoden geschieht eine besonders intensive Form von Kollaboration, ein „comping“ (einander in einem umfassenden Sinn Begleiten und gleichzeitig eigene Beiträge Einbringen, vgl. Becker, 2012): Es entstehen Effekte der Ko-Kreation, bei der Bewertungen wie „falsch“ und „richtig“ deutlich weniger Bedeutung haben. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Lernende gegenseitig unterstützen, sich nicht einander nur herausfordern, sondern auch fördern.
„Improvisation involves students creating a physical reality through individual action and emotion while, at the same time, developing a shared vision with the other students.” (Berk & Trieber, 2009, S. 53). Im Zentrum kann demnach ein gemeinsames Ziel stehen, ein gemeinsamer Fokus, zu dem gemeinsam nachgedacht und geforscht wird, womit emergente Ergebnisse möglich werden.
Auch Sawyer (2007) beschäftigt sich intensiv mit dem Zusammenhang der Kollaboration in Gruppen und der Improvisation. Dafür seien folgende zehn Aspekte wichtig:
- Ein erkennbares Ziel: In Hinblick auf Bildungssettings, wie etwa die Erledigung einer Aufgabe oder das Erreichen eines Lernziels. Ein mögliches Ziel kann sein die Fähigkeit zur Zusammenarbeit weiterzuentwickeln oder, etwas unspezifischer, mehr voneinander und möglichen gemeinsamen Zielen zu erfahren.
2.) Wahrhaftiges, respektvolles, intensives Zuhören: Hierbei geht es um mehr als das bloße Aufnehmen auditiver Signale. Dies trägt zu einer Atmosphäre des Vertrauens bei. Wichtig sind Methoden, die die gegenseitige Zuwendung fördern. Unterstützt werden kann dies etwa durch Improvisationsmethoden, bei denen Körperhaltungen gespiegelt und kopiert werden bzw. in denen Aussagen wiederholt oder zusammengefasst werden, bevor ein eigener Beitrag eingebracht wird.
3.) Autonomie: Diese hat einen engen Zusammenhang zum Ansatz der Co Creation: Gruppen benötigen – gerade in hierarchischen Systemen – ein möglich hohes Ausmaß an Autonomie. Auch Bildungssettings haben oft hierarchische Komponenten, die sich etwa in der Art und Weise spiegeln, wie manche Lehrende große Teile ihres Unterrichts gestalten. Zur Autonomie gehört dass alle Anwesenden sich gleichermaßen intensiv beteiligen können.
4.) Gegenseitiges Kennenlernen
5.) Eine Konzentration auf Ereignisse im Hier und Jetzt: Geprägt von einer Haltung der Achtsamkeit.
6.) Eine rudimentäre Form gemeinsamer Sprache oder eines Bezugrahmens: Hilfreich sind dabei das gemeinsame Einüben und Vertiefen von Methoden, bei denen ebenso ein besseres gegenseitiges Kennenlernen erfolgt und ein Mindestmaß von aufeinander Einlassen, um Ausdrucksweisen von Mitspielenden besser einordnen zu können.
7.) Umsetzung des Improvisations-Prinzips des „Ja, genau! Und…“: Das achtsame Wahrnehmen und Wertschätzen eigener Ideen sowie der Impulse anderer, ebenso diese als Ausgangspunkt und Bestandteil(e) für eigene Beiträge zu nutzen. Jede/r Anwesende wird dabei unterstützt, zu den Aktivitäten der anderen nicht nur beizutragen, sondern mehr noch diese mit allen Möglichkeiten zu unterstützen.
8.) Einsatz des Zufallsprinzips für das Finden von Kleingruppen / Personen, die als nächstes die ‚Bühne‘ betreten sollen: Improvisationsmethoden werden, wie schon angesprochen, für manche Personen insofern herausfordernd erlebt, als sie aus der eigenen Komfortzone herausführen, besonders durch ein Interagieren mit / vor anderen. Wichtig kann daher sein, dass es sehr schnell erfolgt, Tandems, Triaden und Kleingruppen zu bilden bzw. auszuwählen, welche von diesen bzw. welche Einzelpersonen als nächstes gemeinsam etablierte Handlungsbühnen betreten. Sehr hilfreich ist dabei das Zufallsprinzip einzusetzen, wobei ein Ausgangspunkt soziometrische Übungen sein können.
9.) Spontanität: Wird hier gedeutet als Fähigkeit, Pläne loszulassen und sich selbst mit Aussagen und Bewegungen zu überraschen bzw. Unerwartetes von anderen als Chance zu begreifen und Ausgangspunkte zu nutzen. Dabei sollten Bewertungen von Aussagen anderer für gewisse Zeiträumen hintangestellt werden, sich alle Beteiligten neuen Ideen und Sichtweisen anzuvertrauen bzw. sich in völlig neue Lebensbereiche und -sichtweisen führen zu lassen.
10.) Aufwärmen
Bildung hat weiters viel mit gegenseitiger Begegnung zu tun. Improvisationsmethoden nehmen Einflüsse auf diese und sind gleichzeitig Gestaltungselemente für einen konstruktiven, wertschätzenden, kreativen sowie ertragreichen Austausch. So werden Meinungen und Zugänge wahrgenommen sowie integriert, die vielleicht ganz anders sind als bisher Geglaubtes und als wichtig Erlebtes. Weiters ist für Lernsettings die Fähigkeit der Übernahme von anderen Perspektiven, die „Fähigkeit und Bereitschaft, Situationen aus Sicht anderer Personen zu betrachten und auf diese Weise ihre Reaktionen (Handlungen, Gedanken, Gefühle und Motive) zu verstehen“ (Walter & Domkowsky, 2012), wichtig.
Literatur
Becker, T. (2012). Evaluating improvisation as a technique for training preservice teachers for inclusive classrooms. University of Central Florida, Orlando. Abgerufen 30. 9. 2018
Berk, R. A. & Trieber, R. H. (2009). Whose classroom is it anyway? Improvisation as a Teaching Tool. Journal on Excellence in College Teaching, 20(3), S. 29 – 60.
Sawyer, K. R. (2007). Group Genius: The Creative Power of Collaboration. New York: Basic Books.
Walter, M. & Domkowsky, R. (2012). Was kann Theater? Ergebnisse empirischer Wirkungsforschung. Scenario, 2012 (01). Abgerufen 13. 8. 17 .