Als ein Kernelement von Improvisationsmethoden ist das Prinzip des „Yes, and…“ zu sehen – also das achtsame Wahrnehmen und Wertschätzen eigener Ideen, von Impulsen anderer sowie die Benützung dieser als Ausgangspunkt und Bestandteil(e) für eigene Beiträge. So wird das Entstehen neuer Ideen immer wieder initiiert – auch da eine angstfreie Atmosphäre entsteht, in der kreativ geforscht werden kann. Damit wird ein dialogorientiertes Miteinander gefördert, das von gegenseitigem Respekt, Wertschätzung und Unterstützung geprägt ist, indem Beiträge von Lernenden einen ebenso bedeutenden Wert haben, wie jene von Lehrenden. Gleichzeitig werden Lernende ermutigt und unterstützt, selbst Verantwortung sowohl für Lernprozesse zu übernehmen – ebenso in Form des Einbringens von Wortmeldungen, Ideen und selbstständigen Tun – als auch gemeinsam mit anderen Lernenden und Lehrenden zu einer konstruktiven, gelingenden Lernatmosphäre beizutragen.
Im Improvisationstheater gibt es im Gegensatz zu traditionellen Formen des Theaters weder eine Textvorlage noch detaillierte Anweisungen, welche Rollen Spielende übernehmen oder in welcher Form sie eine bestimmte Handlung machen bzw. mit anderen interagieren sollen. Werden Improvisationsmethoden in Lernsettings transformiert, gilt noch stärker, dass der Wechsel zwischen den Rollen als (im Großen und Ganzen passive) Zusehende und Spielende entweder ganz verschwinden, oder es zu einem ständigen Fluss des Wechsels zwischen diesen Rollen sowie deren zeitweise Verschmelzung kommt. Lernende werden demnach zu AkteurInnen und GestalterInnen des gesamten Bildungsprozesses, übernehmen für diesen in verschiedenster Form Mitverantwortung, werden zudem selbstständig initiativ, ohne explizit dazu aufgefordert zu werden oder eine genau beschriebene Vorgabe zu erhalten. Es ergeben sich emergente Effekte, in denen alle Beteiligten gleichermaßen Input geben, diesen annehmen und weitergestalten. Dies geschieht nach Mustern der Chaostheorie, dadurch wird die Frage nach dem, was zuerst ist und was als nächstes kommt wird, unwichtig wird (vgl. Scott, 2013).
In diesem Zusammenhang noch einmal ein Blick auf den Begriff der „Co Creation”:
„In contrast to a cooperative learning exercise, when an improvisational approach is used in the classroom, the class facilitates the discussion and synthesizes the information. It is a process for exploring collaboration and cooperation at its most fundamental level, the co-creation of ideas, rather than an instructor-directed or scripted group activity.” (Berk & Trieber, 2009, S. 14).
Dabei stellt sich nicht die Frage, ob eine Antwort auf eine Frage falsch oder richtig ist, sondern wie verschiedenste Impulse kreativ genutzt und weiterentwickelt werden können. Co Creation erfolgt dabei, wie Stewart (2016) ergänzt, im Hier und Jetzt, ohne Verzögerung. Es gibt vielleicht ein gewisses Maß an Struktur, da z. B. eine Wort-für-Wort Assoziation im ABC-Modus umgesetzt wird (erstes Wort beginnend mit A, zweites Wort mit B usw.) – dazu kommen jedoch Inspirationen, die von anderen Anwesenden eingeholt werden, wie beispielsweise ein thematischer Rahmen oder eine Fragestellung. Ansonsten finden die Beteiligten zu einem koordinierten Vorgehen, ohne dass dies von außen gesteuert wird. Mehr noch, es ergeben sich im gemeinsamen Tun schnell so nicht planbare oder wiederholbare Variationen der Vorgangsweise. Dabei können ebenso Personen eine sehr intensive Form von Co Creation umsetzen, die bisher in dieser Zusammensetzung noch nie zusammengearbeitet haben. In diesem Prozess übernehmen sie in einem intensiven Ausmaß gemeinsam Verantwortung für das Geschehen, Stewart (S. 140) verwendet die Beschreibung „ownership of creation“. Wobei verschiedene Rahmenbedingungen diese Effekte wahrscheinlicher machen, wie diese Arbeit aufzeigen möchte. Spolin (1986) drückt das zusammenfassend so aus: „improvisation is not an exchange of information between players; it is communion“ (S. 45).
Berk und Trieber (2009) ziehen einen interessanten Vergleich: In einem Theaterstück gibt es eine Person, die die Regie übernimmt, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Vermittelt werden teils sehr detaillierte Vorgaben für die Art und Weise, wie ein Text szenisch umgesetzt wird. Eine Diskussion mit den Spielenden kann zwar theoretisch stattfinden, letztlich zählt allerdings das Wort der Regie. Bei Improvisationstheatern und Improvisationsmethoden kann es zwar Personen geben, die Methoden erklären sowie Vorgaben anbieten, aber selbst diese beiden Elemente können (und sollen) von jedem/jeder Anwesenden übernommen werden. Gefördert wird dadurch eine partizipativ geprägte Atmosphäre, zu deren Gelingen alle Anwesenden gemeinsam beitragen. Die Methoden unterstützen, dass sich alle gleichermaßen einbringen können: sowohl als AutorInnen, Spielende, Inszenierende als auch als ZuschauerInnen. Alle Beteiligten können dabei selbst immer wieder Rollen in Bereichen umsetzen, wie Input oder Anleitungen geben.
Improvisationsmethoden haben das Potential u. a. folgende Aspekte zu fördern: „spontaneity, intuition, interactivity, inductive discovery, attentive listening, nonverbal communication, ad-libbing, role-playing, risk-taking, team building, creativity, and critical thinking” (Berk & Trieber, 2009, S. 30). Im Fokus steht demnach nicht die Lehrperson, sondern die Lernenden. Lehrende spielen eine wichtige Rolle beim gesamten didaktischen Design, u. a. bei der Auswahl der Methoden, deren Adaption an spezifische Lernziele, Settings, Gruppenspezifika sowie als Personen, die immer wieder Methoden erklären. Ebenso tragen sie eine wesentliche Verantwortung für ein gutes Debriefing. Wobei: In all diesen Phasen können Lernende Mitverantwortung übernehmen, sprich didaktische Designs mitentwickeln, einzelne Sequenzen dabei selbst oder Reflexionen anleiten. Damit werden Lernergebnisse nachhaltig verankert und insgesamt immer wieder Querverbindungen zum eigenen Leben der Lernenden sichtbar sowie bewusst hergestellt. Lernen wird daher als sinnerfüllt erlebt, als ein Vorgang, der zum einen stark mitgestaltet werden kann und soll, der viel an eigenständigen Tun braucht und zum anderen als Ausgangspunkt, um berufliche und private Herausforderungen nicht nur meistern zu können, sondern auch dort immer wieder möglichst aktive Gestaltungsrollen zu übernehmen (vgl. Berk & Trieber, 2009).
Improvisationsmethoden haben dabei ebenso das Potential Inklusion zu fördern, dazu beizutragen, dass sich alle beteiligen können, unabhängig davon, ob sie von anderen in die Kategorie ‚normale‘ Personen oder solche mit körperlichen und/oder geistigen ‚Einschränkungen‘ eingeordnet werden. All diese Kategorien verlieren sehr stark an Bedeutung, es wird jedoch ein gleichberechtigtes Miteinander ermöglicht.
Literatur
Berk, R. A. & Trieber, R. H. (2009). Whose classroom is it anyway? Improvisation as a Teaching Tool. Journal on Excellence in College Teaching, 20(3), S. 29 – 60.
Scott, J. (2014). Improvisation in the Theatre: An Intersection Between History, Practice, and Chaos Theory. Texas Tech University, Lubbock
Stewart, C. (2016). Effects of Improv Comedy on College Students. Dissertation. Paper 601. Illinois State University.