Sichere Zone

Wie kann mit Widerstand gegen „sinnloses Spielen“ umgegangen werden?

Improvisationsmethoden stoßen auf unterschiedlichste Reaktionen der Teilnehmenden. Dazu kann Angst gehören zu versagen, Skepsis sowie ein Hinterfragen der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Diese Reaktionen können damit zusammenhängen, dass Improvisationsmethoden oft als ‚Spiel‘ wahrgenommen werden und wird davon beeinflusst, wie die Bedeutung spielerischen Handelns eingeschätzt wird.

Spiele haben in Zusammenhang mit didaktischen Settings bei vielen Menschen einen schlechten Ruf. So kann eine Einschätzung sein, dass das Spielen mit Kindheit verbunden sei und später der Ernst des Lebens beginne. Oder, dass im Erwachsenenleben kein Platz und Raum mehr für Spiele sei, weil es um ernsthafte Belange, um Lebenswichtiges ginge.

Spiele werden in Bildungssettings immer wieder eingesetzt, als bloße Unterbrechung, als Pausenbeschäftigung, als Auflockerung – bevor es dann wieder zur Sache geht. Sie haben daher nicht selten nur eine sehr geringe oder gar keine didaktische Funktion. Manche haben Spielen zudem in Erinnerung als Betätigung, die erst durch harte, ‚ernsthafte‘ Arbeit verdient werden muss (vgl. Scruggs & McKnight, 2008; Brown, 2010; Lobman, 2015).

Hilfreich kann  der Hinweis darauf sein, dass spielerische Herangehensweisen die Wahrnehmung und Weiterentwicklung fördern von Wissen und Schlüsselkompetenzen, also u. a.

  • kreatives Denken und Spontanität
  • Wahrnehmung und Visualisierung von / Umgang mit / Lösen von Problemen
  • eigene Ideen und Anliegen selbstbewusst auszudrücken
  • Entwicklung von Ideen und Handlungsoptionen in Bezug auf soziale / gesellschaftliche Rahmenbedingungen
  • Kooperation
  • neue Verknüpfungen von vorhandenen / neuen Wissens- und Informationsbausteinen
  • nachhaltig wirksames Lernen

Brown (2010) unterstreicht, dass Spielen ein grundlegendes menschliches Bedürfnis ist. Demnach hätten sowohl Kinder als auch Studierende an Hochschulen, als auch Personen in der Arbeitswelt die Sehnsucht danach zu spielen. Diese müsste entsprechend ernst genommen und in verschiedene Settings als gut aufbereiteter, selbstverständlicher Bestandteil integriert werden.

Eine (zunächst) ablehnende Haltung gegenüber dem Einlassen auf Spielen entsteht nach Brown nicht nur aus dem Vorurteil Spielen sei kindisch und Leben bzw. insbesonders Lernen und Arbeiten eine ernste Angelegenheit, sondern auch aus der Erkenntnis, sich selbst in (zu) vielen Situationen zu wenig Handlungsfreiheiten, Spielräume und konkretes Spielen zugestanden zu haben.

Was ist Entrollen und welche Optionen gibt es dafür?

Beim intensiveren Einsatz von Körperbildern sowie bei sehr intensiven szenischen Arbeiten, bei dem Personen reale Personen verkörpern ist ein Entrollen wichtig. Also ein bewusstes Aussteigen aus der Rolle. Optionen sind dazu etwa:

  • Mit beiden Händen über die Nieren kräftig Richtung Gesäß und darüber hinaus streichen
  • Ausschütteln
  • Durch den Raum laufen
  • Einander mit realen Namen ansprechen
  • Im Debriefing nicht aus der Perspektive der vorher verkörperten Rolle reflektieren, sondern Metaebene wählen

Literatur:

Grosser, S. (o. J.). tool-kit II Theater der Unterdrückten (Paulo Freire Zentrumfür transdisziplinäre Entwicklungsforschung und dialogische Bildung). Abgerufen 28. 8. 20 http://ungleichevielfalt.at/documents/TK/toolkit_2_Theater.pdf

Warum ist kontinuierliches Kennenlernen wichtig?

Ein wichtiger Aspekt von Methoden der Angewandten Improvisation ist, dass diese das gegenseitige Kennenlernen unterstützen und damit zu einer Atmosphäre der Vertrautheit beitragen. Das Kennenlernen und das damit immer wieder verbundene gemeinsame definieren von Gruppenregeln schaffen eine Form von sicherer Zone.

Ein Methodenset, das gegenseitiges Kennenlernen unterstützt, sind z. B. soziometrische Übungen.

Sehr schnell sichtbar werden so verschiedenste Aspekte der eigenen Biographie und damit einhergehend Gemeinsamkeiten und/oder Anknüpfungspunkte zu anderen Anwesenden. Wichtig kann beim Anleiten der Hinweis sein, sich als Teilnehmende*r bei der Entscheidung der Zuordnung nicht zu viele Gedanken zu machen, sondern viel eher der eigenen Intuition im Augenblick zu folgen. Gleichzeitig muss es bis zu einem gewissen Grad immer möglich sein, eigene Zuordnungsentscheidungen revidieren und den Platz wechseln zu können. Gearbeitet wird dabei auch mit einem hohen Tempo, womit bis zu einem gewissen Maß ein assoziatives Handeln entsteht. Damit wird gleichzeitig ein Beitrag zum „Aufwärmen“ geliefert, zum Herantasten und Austesten assoziativen Tuns.

Gegenseitiges Kennenlernen kann zudem durch verschiedene Varianten von Assoziationsmethoden, bei denen Sprache und/oder körperliche Aktivitäten zum Einsatz kommen, unterstützt werden.

 

Literatur:

Duffy, B. (2014). Facilitating embodied instruction: classroom teachers’ – experiences with drama-based pedagogy. Thesis. Abgerufen 20. 8. 17 http://scholarcommons.sc.edu/etd/2810

Johnstone, K. (2010). Improvisation und Theater. Berlin: Alexander Verlag.

Young, A. (2013). Improvisation in the Mathematics Classroom. PRIMUS: Problems, Resources, and Issues in Mathematics Undergraduate Studies, 23(5), S. 467–476.

Welche Möglichkeiten gibt es zum Aufwärmen für Improvisationsmethoden?

Wichtige Bausteine beim Einsatz von Improvisationsmethoden können Phasen des „Aufwärmens“ sein, ein vorangehendes Ausprobieren und Kennenlernen von Methoden und Spielprinzipien (siehe z. B. diese Assoziationsmethoden). Ein wichtiges Ziel davon ist, neben der Vorbereitung des sich aufeinander Einlassens, zu einer Enthemmung beizutragen. Dadurch werden Teilnehmende sowohl unterstützt ihre Angst zu verlieren etwas ‚falsch‘ zu machen als auch die Achtsamkeit auf Lernpotentiale aus (scheinbaren) Fehlern gesetzt. „Enthemmung“ meint zudem die Förderung eines ekstaseähnlichen Zustands, in dem der Zugang zu neuen Ideen und Inspirationen leichter gelingt.

Gefördert wird zudem der Ansatz der „Group Mind“ – dem gemeinsamen finden und weiterentwickeln von Vorstellungen und Ideen – sowie Spolins Konzept des „Point of Concentration“. Bei Letzterem geht es u. a. darum sich selbst in Bezug auf andere im Raum wahrzunehmen, die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Aspekt oder eine körperliche Aktivität zu fokussieren.

Aufwärmphasen lassen erkennen, ob sich tatsächlich alle Anwesenden an den Aktivitäten gleichzeitig beteiligen. Darüber hinaus unterstützen Aufwärm- und Improvisationsmethoden im Allgemeinen Lernende dabei Lernräume und dort agierende Menschen sowie ihre Ressourcen bewusst wahrzunehmen und aktiv zu nutzen. Diese Achtsamkeit beeinflusst anschließend wiederum das Miteinander, den Dialog und die Kooperation in den Lernräumen.

Viele Improvisationsmethoden zeichnen sich dadurch aus, dass sie in unterschiedlichen Intensitäten umgesetzt werden können: Als besonders „intensiv“ können Teilnehmende beispielsweise die Aufforderung erleben assoziatives Bewegen mit sprachlichen Impulsen zu verbinden. Beim Aufwärmen ist der Fokus auf einen bestimmten Aspekt, z. B. die Bewegung eines einzelnen Körperteils, eine wenig komplexe Form einer sprachlichen bzw. körperlich orientierten Assoziationsmethode oder eine sehr kurze szenische Umsetzung eines bestimmten Aspekts (z. B. das Öffnen einer pantomimisch dargestellten Tür und anschließendes Aussprechen einer Grußformel).

Phasen des Aufwärmens tragen somit dazu bei, dass alle Anwesenden die Erfahrung machen können, sich in einer sicheren Zone zu befinden.

Literatur:

Lösel, G. (2013). Das Spiel mit dem Chaos: Zur Performativität des Improvisationstheaters. Bielefeld: Transcript.

Spolin, V. (1986). Theater Games for the Classroom: A Teacher’s Handbook. Evanston: Northwestern University Press.

Was sind „Improvisationsregeln“ und welche gibt es?

Für verschiedene Varianten von Improvisationstheater sowie für Improvisationsmethoden insgesamt wurden ausgehend von den 1940er Jahren Regeln entwickelt bzw. laufend ergänzt. Sie liefern zum einen hilfreiche Hinweise für die Förderung von Kooperation und Dialogbereitschaft in Lernsettings. Die Vorinformation zu den „Regeln“ schafft einen Rahmen, innerhalb dessen Lernende das Potential der Improvisationsmethoden auf intensive Weise nutzen können. Sie tragen so auch zu einer Etablierung einer sicheren Zone zu. Beispiele für diese Regeln:

  • „Du kannst nichts falsch machen!“: Eine Variante davon ist „es gibt kein ‚Richtig‘ und kein ‚Falsch‘“, diese Regel soll dazu beitragen, dass Teilnehmende eigene Beiträge als wertvoll wahrnehmen und einbringen, auch mit der Überzeugung, dass diese auf jeden Fall einen Beitrag zu einem Prozess, zur Entstehung von Ideen oder zur Entwicklung von Handlungsoptionen leisten.
  • „Umarme Deine erste Idee“ / „Oft ist die erste Idee, die Du hast, die ‚Richtige‘, vertraue Dich ihr an!“: Zwei Ergänzungen dazu können sein „Fange mit dem Naheliegenden an“ und „Du darfst auch durchschnittlich sein“. Unterstützt wird so die selbst- und fremdwertschätzende Wahrnehmung erster, vielleicht intuitiver Impulse, was dazu beiträgt diese zu zeigen und einzubringen. Zudem fördert diese Regel die Nutzung von implizitem Wissen.
  • „Handle jetzt – zögere nicht!“: Dies ist eine weitere Ergänzung zu den zwei vorher genannten Regeln, wobei es dabei ebenso darum geht, Handlungsimpulse und Beiträge anderer achtsam wahrzunehmen und diese als Ausgangspunkt für unmittelbares oder paralleles eigenes Handeln und Einbringen von Ideen zu nutzen.
  • „Lass Deinen Partner / Deine Partnerin beim Tun, bei ihren Vorhaben gut aussehen – unterstützt einander!“: Das für Improvisationsmethoden essenzielle Prinzip der Kollaboration.
  • „Lass Dich ein… auf die Methoden / die anderen Anwesenden / das Geschehen im Hier und Jetzt gemeinsam mit anderen!“: Wieder wird die gegenseitige Achtsamkeit angesprochen, und diese Regel unterstützt die partizipative Grundausrichtung von Improvisationsmethoden.

„Ja, genau! Und…“: Teilnehmende werden motiviert, die Ideen und Impulse andere als Ausgangspunkte zu nutzen, als Repertoire im Sinn von Bricolage.

 

Literatur:

Berk, R. A. & Trieber, R. H. (2009). Whose classroom is it anyway? Improvisation as a Teaching Tool. Journal on Excellence in College Teaching, 20(3), S. 29 – 60.

Bermant, G. (2013). Working with(out) a net: improvisational theater and enhanced well-being. Frontiers in Psychology, 4.

Jackson, P. Z. (1995). Improvisation in training: freedom within corporate structures. Journal of European Industrial Training, 19(4), S. 25–28.

LaPolice, P. A. (2012). The impact of improvisation training on teachers’ sense of self efficacy. Masterthesis: Humboldt State University, Arcata. Abgerufen 30. 9. 18 https://www.academia.edu/8091273/THE_IMPACT_OF_IMPROVISATION_TRAINING_ON_TEACHERS_SENSE_OF_SELF_EFFICACY

Madson, P. R. (2009). Unverhofft kommt oft! Entdecken Sie Ihr Improvisationstalent: 13 geniale Alltagsstrategien. Kirchzarten bei Freiburg: VAK.

Tabaee, F. (2013). Effects of improvisation techniques in leadership development. Dissertation. Malibu: Pepperdine University.

Tint, B. & Froerer A. (2015). Delphi Study Summary. Applied Improvisation Network. Abgerufen 19. 6. 17 http://appliedimprovisation.network/wp-content/uploads/2015/11/Delphi-Study-Summary.pdf

Yamamoto R. H. (2015). Serious Fun: The Perceived Influences of Improvisational Acting on Community College Students. Dissertation, Walden University.

Was trägt bei, zum Entstehen einer Sicheren Zone?

Wie Räume in einem umfassenden Sinn gestaltet sein müssen, damit sich Teilnehmende in jeder Hinsicht sicher fühlen und bereit sind Methoden umzusetzen, die sie gerade am Anfang vielleicht als ungewöhnlich erleben? Pendergast und Saxton (2013) sprechen zunächst die Bedeutung des physischen Raums an, wobei die meisten Hinweise ebenso auf die Gestaltung eines digitalen Umfelds angewendet werden können:

Es sollte demnach ein einladender Ort sein, der u. a. Optionen bietet, sich zwischendurch niederzusetzen. Ein Platz, an dem sich niemand verletzen kann. Wichtig sein kann ein gewisser Sichtschutz, so, dass sich Teilnehmende nicht beobachtet fühlen (siehe FAQ zu Setting).

 

Der zweite Aspekt ist, dass sich Teilnehmende emotional sicher fühlen, ebenso in der Hinsicht, dass sie eigene Gefühle, Wünsche und Ängste ansprechen können. Hunter (2008) erwähnt dazu die Bedeutung einer Atmosphäre der Toleranz – einer grundsätzlichen gegenseitigen Wertschätzung. Zudem sollte sich der Ort nach und nach vertraut anfühlen. Teilnehmende sollen sich so sicher fühlen, dass sie bereit sind eine Form von kreativem Risiko einzugehen, sich auf Prozesse mit unplanbarem Ausgang einlassen. Dazu können etwa Hinweise auf die o. a. Improvisationsregeln beitragen (vgl. Treder-Wolff, 2018).

Improvisationsmethoden brauchen nicht nur solche sicheren Zonen, denn sie tragen auch zu einer Atmosphäre des wertschätzenden, einander unterstützenden Miteinanders bei, welche das Gefühl des sich sicher seins unterstützt (vgl. Yamamoto, 2015; Stewart, 2016; Nelson, 2018).

Warum ist die Arbeitsform des Kreis wichtig?

Für viele Improvisationsmethoden, an denen sich mehr als zwei Teilnehmende beteiligen, hat sich die Arbeitsform des Kreises bewährt. Unterstützt wird durch diese Arbeitsform die gegenseitige Wahrnehmung aller Beteiligten und damit ebenso der gegenseitigen Fokus sowie das kollaborative Tun.

Ein Kreis kann auch in einem Setting entstehen, wie einem Hörsaal mit ansteigenden Sitzreihen, indem sich sechs Personen einander zuwenden, ca. drei Personen je Reihe. In einem Raum können mehrere Kreise aus Personen gleichzeitig arbeiten.

Gleichzeitig trägt die Arbeitsform des Kreises zu einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und Zutrauens, zu einer sicheren Zone bei.

 

Literatur:

Hackbert, P. (2010). Using improvisational exercises in general education to advance creativity, inventiveness and innovation. US-China Education Review 7 (10), 71.

Hoffmann, A. (2012). Game Language. Proceedings 17th European Conference on Pattern Languages of Programs, Irsee.

Pendergast, M. & Saxton, J. (2013). Applied Drama – A facilitator’s handbook for working in community. Chicago: Intellect Ltd.